Im Vereinsleben gibt es eine interessante Beobachtung: Kaum irgendwo sonst begegnet man so vielen Menschen, die plötzlich Führungsverantwortung übernehmen wollen – unabhängig davon, ob sie dafür tatsächlich geeignet sind oder nicht.
Was steckt dahinter? Oft sind es Personen, die im Berufsleben vor allem Befehlsempfänger waren, die also Zeit ihres Lebens Anweisungen befolgt haben, ohne selbst gestalten zu dürfen. Im Verein sehen sie dann die Chance, endlich das zu tun, was ihnen sonst verwehrt blieb: Verantwortung übernehmen, mitbestimmen, vielleicht auch ein Stück Anerkennung einfordern.
Nur: Führen zu wollen, heißt nicht automatisch, auch führen zu können.
Denn echte Führung erfordert weit mehr als einen Titel oder ein Amt. Es braucht soziale Kompetenz, Organisationstalent, strategisches Denken, klare Kommunikation und vor allem die Fähigkeit zur Selbstreflexion. Genau daran hapert es jedoch oft – und das hat spürbare Folgen für die Vereine.
Wer keine Erfahrung in der Führung von Menschen hat, tut sich schwer, Rollen klar zu definieren, Zuständigkeiten zu regeln oder realistische Ziele zu setzen. Fehlentscheidungen häufen sich, Projekte verlaufen im Sande, und die zwischenmenschliche Kommunikation leidet unter mangelnder Klarheit oder gar autoritärem Verhalten.
Besonders problematisch wird es, wenn fehlende Kompetenz auf eine gehörige Portion Selbstüberschätzung trifft. Dann entsteht ein gefährlicher Mix: Entscheidungen werden getroffen, ohne Rücksicht auf Regeln, Sachkenntnis oder das Team. Kritik wird abgeblockt, Verantwortung nach außen geschoben – und das Chaos ist vorprogrammiert.
Tragisch ist: Viele erkennen ihre eigenen Defizite nicht.
Im Gegenteil: Sie beharren auf ihrer Position, pochen auf ihre Autorität und sitzen bildlich gesprochen „auf dem hohen Ross“, auch wenn längst offensichtlich ist, dass es so nicht weitergeht.
Dabei wäre es für jedes Vereinsleben ein Gewinn, wenn Führung als das begriffen würde, was sie ist: ein Dienst an der Gemeinschaft – und nicht als Bühne für persönliche Selbstverwirklichung. Gute Führungskräfte zeichnen sich durch Lernbereitschaft, Bescheidenheit, Dialogfähigkeit und einen klaren Blick für das große Ganze aus. Sie wissen, wann sie Experten fragen müssen, wo ihre Grenzen liegen, und wie man andere motiviert, statt sie kleinzumachen.
Fazit:
Wer im Beruf nicht führen kann oder darf, sollte nicht automatisch glauben, im Verein den „großen Chef“ geben zu können. Verantwortung im Ehrenamt bedeutet nicht, Macht auszuüben, sondern gemeinsam etwas zu gestalten – mit Respekt, Kompetenz und dem Blick für das Wohl aller.